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Traumatisierung verhindern. Ist das möglich?

Posted by admin on 25.9.2010 in Allgemeine Beiträge |

 

Eine Eizelle und ein Same vereinigen sich.

Ein Kind entsteht.

Nehmen wir an, es ist ein Wunschkind.

Erwartet und herbei gewünscht von Vater und Mutter.

Beide haben keinerlei Hintergedanken, keinerlei auf sich bezogene Bedürfnisse, für deren Erfüllung sie dieses Kind dringend benötigen oder deren Erfüllung sie von diesem werdenden Kind erwarten.

Auch nicht unbewusst.

Nein, völlig selbstlos erwarten die beiden dieses neu entstehende kleine Wesen, um es dann nach Kräften, sagen wir mal 18 Jahre lang, ins Leben zu begleiten und vor allen Möglichkeiten einer Traumatisierung zu bewahren und ihm die Fähigkeiten, sich vor solchen Traumatisierungen zu schützen mit auf den Weg zu geben, damit dieses winzige Wesen sich sein Leben lang immer, immer optimal seinem Potenzial gemäß, seinem genetisch vorbestimmten Potenzial gemäß, entwickeln kann.

Und nehmen wir an, lassen Sie es uns doch einfach mal annehmen (!),

nehmen wir an, die gesamte Verwandtschaft erwartet dieses Kind ebenso völlig unvoreingenommen und voller Freude.

Die zukünftigen beiden Omas und die zukünftigen beiden Opas, nein, sie fühlen sich nicht unangenehm daran erinnert, dass sie nun zur „alten“ Generation gehören, nein, sie haben keine anderen konträren Erziehungsvorstellungen zu den Eltern des Kindes, nein, sie fühlen sich auch nicht generell einsam und nutzlos, keiner von den vieren.

Ein neues Kind kommt und es ist alles ausschließlich nur optimal.

Die Mutter macht sich keinerlei Sorgen in der Schwangerschaft, sie hat keinerlei Ängste, sie hat keinen Autounfall, sie fällt nicht vom Pferd, sie streitet sich mit niemandem, sie ärgert sich auch über niemanden, sie hat auch keinerlei Geldsorgen, sie hat keinen lärmbelasteten Arbeitsplatz, sie hat nur gute Freundinnen, die ihr nichts neiden, und mit den Nachbarn verhält es sich ebenso.

Das Kind entwickelt sich nach seinem vorprogrammierten Plan, dem Allgemeinplan für die Entwicklung menschlichen Lebens und seinem Individualplan für seine Persönlichkeit, seinem Gen-Plan.

Es ängstigt sich nie, erschrickt nie, wird nie erschüttert, nur sanft gewiegt, wird optimal mit allen Nährstoffen, Mineralstoffen, Vitaminen und Flüssigkeit versorgt, ohne irgendwelche schädlichen Bestandteile versteht sich …

In dieser Zeit entwickelt sich sein Körper und auch sein Gehirn.

Aber, wie es sich entwickelt, können wir nicht sagen!

Warum?, fragen Sie.

Ja, wie würde sich ein Kind und sein Gehirn unter solch komplett störungsfreien Bedingungen entwickeln?

Da es in unserer Realität niemanden, ich behaupte, wirklich niemanden, gibt, der eine derart komplett störungsfreie Entwicklung in der Schwangerschaft erleben konnte, gibt es folglich auch keinen real existierenden sich störungsfrei entwickelt habenden Menschen und damit auch kein real existierendes dazu passendes sich störungsfrei entwickelt habendes Gehirn, das die neurobiologische Forschung nun untersuchen und analysieren könnte.

Es gab ein solches Gehirn nie und es wird ein solches Gehirn nie geben!

Eine zu 100 % stressfreie Schwangerschaft, wie soeben beschrieben, kann lediglich in unserer theoretischen Vorstellungswelt konstruiert werden.

In Wirklichkeit haben wir alle bereits eine gehörige Portion an „Erschütterungen“ durchlebt, noch bevor wir das Licht der Welt erblickten, und in diesem bereits
gewohnten Sinne fährt das Leben dann mit uns fort.

Welches Potenzial aber könnte das sein, das uns vielleicht von Geburt an zur Verfügung gestanden hätte, wären da nicht bereits all diese Störungen gewesen? Stünde uns in diesem hypothetischen Fall etwa ein „störungsfrei“ arbeitendes Gehirn zur Verfügung?

Der Blick in unser Gehirn hinein, tatsächlich wirklich hinein, gestaltet sich für die neurobiologische Forschung nach wie vor sehr schwierig. Nur sehr beschränkt können wir Einblick nehmen in die dort stattfindenden Prozesse.

Es gibt „Hinweise darauf, dass eine psychische Traumatisierung unmittelbare Folgen auf Funktion, Struktur und Arbeitsweise des Nervensystems <und somit auch des Gehirns> haben kann“ (Psychoanalyse-Neurobiologie-Trauma“ von Bohleber, Roth, Buchheim, S. 87). Beispielsweise gäbe es einige Studien, die zeigen, dass das Volumen des rechten Hippocampus, einer Gehirnstruktur, die bei der Verarbeitung von Furcht und Angst beteiligt ist (andere Autoren platzieren in dieser Hirnstruktur die Integration von Sinnesdaten und die Gedächtnisfunktion), bei höchstgradig traumatisierten Patienten in der Kernspintomografie sichtbar verkleinert erscheint und dies gekoppelt ist mit einer Verminderung des verbalen Kurzzeitgedächtnisses der betroffenen Personen (z.B. Vietnam-Veteranen).

Große Traumatisierungen können wohl offensichtlich große Spuren im Gehirn hinterlassen.

Auch eine generelle Verringerung der weißen Gehirnsubstanz wurde laut Bohleber, Roth und Buchheim in einer Studie signifikant festgestellt. (aaO, S. 84)

Bei großen einschneidenden Traumatisierungen können wir das aufgrund unseres Erfahrungsschatzes im Umgang mit anderen Menschen nachvollziehen. Wenn wir Menschen kennen, die in ihrem Leben sehr schlimme Erlebnisse durchmachen mussten, dann können wir den veränderten Zugang, den diese Menschen zur Welt haben, buchstäblich greifen. Wir nehmen wahr, dass bei diesen Menschen die Erinnerungen an traumatische Erlebnisse das alltägliche Leben konsequent dirigieren können, sei es, dass diese Menschen alle Umstände, die an ihr Trauma erinnern, konsequent meiden, sei es, dass sie in eine lähmende Antriebslosigkeit verfallen, oder aber, dass sie in einen manischen, hyperaktiven Zustand geraten oder zwischen beiden hin und her wechseln, sei es, dass sie in Albträumen von ihrem Trauma verfolgt werden, oder aber auch tagsüber stets zwanghaft an das Erlebte denken müssen und darüber sprechen müssen, oder eben konsequent nicht darüber sprechen usw.

Es würde uns doch überhaupt nicht wundern, wenn diese veränderten Verhaltensweisen ein sichtbares oder messbares Pendant im Gehirn, der Steuerungszentrale des Menschen, hätten.

Der Psychiater Prof. Thomas E. Schläpfer bezeichnet „die Auswirkung<en> kindlicher Traumatisierung im Erwachsenalter“ beispielsweise in einer Präsentation im Deutschen Bündnis gegen Depression e. V. Bonn Rhein/Sieg in 2009 als „Narben im Gehirn“.

Verletzungen, Narbengewebe, schwer oder gar nicht heilen wollende chronische Verletzungen, unerwünschte Funktionsminderungen, unerwünschte Funktionssteigerungen oder unerwünschte Funktionsverluste sind die somatischen Reaktionen unseres Körpers, die wir an seinen übrigen Bestandteilen mehr oder
weniger alle schon mehrfach erleben durften, do dass es uns nicht schwer fällt, diese Bilder auf unsere Vorstellung von unserem Gehirn zu übertragen. Also: Narben, offene Verletzungen, unerwünscht verminderte oder vermehrte Ausschüttung von Hormonen und Transmittern oder eine Stauung derselben an einer Barriere, Defekte in den Leitungsbahnen, zerstörte Leitungsbahnen etc.

An unserem Körper, beispielsweise der Haut, hinterlassen größere Verletzungen Narben und diese wiederum lokal begrenzte Funktionseinschränkungen, Gewebsverlust, der durch Ersatzgewebe provisorisch aufgefüllt wird, zuvor an dieser Stelle vorhandene Funktionseinheiten, beispielsweise Schweißdüsen, Temperaturrezeptoren fehlen nun vielleicht ganz.

Was wäre, wenn?

  • Was wäre, wenn uns unser Gehirn in seiner ursprünglich geplanten Funktionsweise zur Verfügung stünde?
  • Wer wären wir dann?

  • Wie würden wir uns fühlen?

  • Würde das Gehirn vielleicht sogar schlechter funktionieren ohne das „vorgeburtliche Härtetraining“, das wir durchlaufen haben?

  • Kann es durch eine Blockade in einem Gehirnareal zu einer verstärkten Präsenz in einem noch unbelasteten Areal kommen, da die zur Verfügung stehende Energie ja irgendwo „verbraucht“ werden muss?

  • Schützt die Blockade bzw. die „Narbe“ in einem Areal vor weiteren Affekten an derselben Stelle?

  • Können starke „Vernarbungen“ in den Gefühlsbereichen dazu führen, das kognitive Bereiche viel stärker aktiviert werden können?

  • Versucht unser Gehirn sich vielleicht sogar durch Umplanung anzupassen an Situationen, die seinen programmierten Bedürfnissen nicht entsprechen?

Wenn man die Ergebnisse neurobiologischer wissenschaftlicher Forschung, einem sehr jungen Wissenschaftszweig, präsentiert bekommt, ist der Grundtenor immerzu folgender:

  • Es wird ein Spektrum an Seinszuständen als „Normal-Null“ angenommen, als gesund, als symptomfrei, als wünschenswert.

  • Alles was von diesem „Normal-Null“ abweicht, ist fehlerhaft, krank, unerwünscht und bedarf somit einer Reparatur.

Dabei haben wir doch eingangs miteinander festgestellt, dass das eigentliche „Normal-Null“, der ursprüngliche Bauplan, bereits bei Geburt des Menschen, der bereits neun Monate lang die Chance hatte, gestört zu werden, nicht mehr existiert. Was wir als „Normal-Null“ definieren, kann also die Erfüllung dieses ursprünglichen Plans schon gar nicht mehr sein.

Was wir also als „Normal-Null“ definieren, sind wohl lediglich die am häufigsten auftretenden Aberrationsmuster vom eigentlichen „Normal-Null“, oder vielleicht sind es auch einfach nur diejenigen Aberrationsmuster, die wir einem Konsens nach als sozial angenehm erleben. Aus dieser Empfindung heraus definieren wir diese Gruppe als unser „Normal-Null“, also als „normal“ und „gesund“.

  • Werden wir durch diese Sichtweise unseren Mitmenschen wirklich gerecht?

  • Oder verursachen wir großes Unrecht, wenn wir durch diese Brille auf unsere Mitmenschen schauen?

  • Was, wenn all die ganzen Kinder mit sog. ADS, ADHS, Autismus, Hyperaktivität, Depression, Hochbegabung, Minderbegabung, Teilhochbegabung etc. lediglich nichts anderes tun, als „vernarbte“ Gehirnareale zu meiden?

  • Wenn bei ihnen vielleicht bestimmte Areale, die „Narben“ tragen, nicht so ohne weiteres benutzbar sind, andere Gehirnbereiche dafür aber um so mehr?

  • Was, wenn durch solche Konstellationen Leistungen erst möglich werden, die ohne diese „Narben“ nie zustande gekommen wären?

  • Wie wäre es, wenn wir uns statt mit der Normierung aller „Abweichler“ mit der Bergung der hier vielleicht verborgenen Schätze beschäftigen würden?

So oft hört man solche, die sich selbst als „glücklicher Weise zur Norm gehörend“ betrachten, über andere „auffallende“ Menschen sagen:

„Er/Sie ist: So abwesend. Verträumt. Kommuniziert nicht. Macht einfach gar nichts. Agiert ziellos und durcheinander. Hat ein Wahrnehmungsproblem. Kann nicht still sitzen. Ist zu still, wahrscheinlich schüchtern. Ist nicht organisiert. Ist nicht konzentriert. Ist zu impulsiv. Ist nicht berechenbar. Ist zu apathisch….“

Sind Sie schon einmal auf die Idee gekommen, diese Menschen – oftmals geht es ja um Kinder –, einfach ganz direkt zu fragen, was sie „stattdessen“ tun, während sie gerade nicht unserer Norm genügen?

Was tun sie, während sie nicht das tun, was die „Normalen“ tun würden und somit auch von ihnen erwarten?

Man kann generell nicht „Nichts“ tun. Keiner, Niemals. Nicht bevor der Gehirntod eingetreten ist. Zuvor gibt es immer Aktivität im Gehirn. Im Schlaf. Im Wachen. Immer.

Die Frage ist nur, welche Inhalte diese Aktivität im Einzelfall hat. Nur weil wir die Aktivierungsmuster unseres Gegenübers nicht nachvollziehen können, ist er dann gleich abnorm?!

Man mag von den unterschiedlichen Aktivierungsmustern und Aktivierungsinhalten im Gehirn unserer Mitmenschen halten, was man will. Aber eines ist sicher: Zufällig entstanden sind sie nicht.

Und sehr häufig findet man den Zugang zum Mikrokosmos unseres Gegenübers durch die einfache Frage:

  • „Was tust du stattdessen?“

  • „Was tust du, während du unserer Norm gerade nicht genügst?“

oder:

  • „Was tust du gerade?“

  • „Was tust du, wenn du so da sitzt, so schaust, so unruhig bist, etc.?“

  • „Was tust du da in dir drin, in deinen Gedanken?“

  • „Was hast du gedacht, während du die Laterne nicht gesehen hast und dagegen gelaufen bist?“

  • „Was tust du, anstatt Ordnung zu machen, anstatt deine Pflichten zu erfüllen?“

Oft ist durch solche Fragen, wenn sie ehrlich und wertschätzend gemeint sind, plötzlich ein Zugang von Mensch zu Mensch möglich, der zuvor nie erreichbar schien.

Also: Können wir Traumatisierungen in unserem Leben und im Leben der uns Anvertrauten verhindern? Dies war die ursprüngliche Fragestellung, die zu diesen Überlegungen geführt hat.

Wir müssen eingestehen: Wir können es wohl nur sehr begrenzt! Und für ein ganzes Leben lang wohl schon gar nicht.

Mit der „Norm des generell mehr oder weniger traumatisierten Menschen“ umgehen, das können wir aber vielleicht schon. Von Gehirn zu Gehirn. Von Mikrokosmos zu Mikrokosmos. Die Begegnung in den Vordergrund stellen, statt uns ausschließlich damit zu beschäftigen, wie wir unerwünschte Verhaltensweisen „ausknipsen“ können. Die Begegnung mit unserem Gegenüber und dem, was er wirklich tut und denkt, hinter der Fassade. Die Auflösung der Isolation der Individuen.

Vielleicht können wir dadurch sogar das ein oder andere Trauma

ganz

auf

l ö s e n……….

Cornelia Böhmer

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